66. Etappe: St-Antoine – Lectoure

Schlecht geschlafen, aber gut geduscht, gings zum Frühstück mit meinen englischen Gastgebern, einem netten älteren Pärchen aus der Nähe von Oxford, die da immer noch ihre HomeBase haben, aber ihr Arbeitsleben auch schon in Portugal, Spanien und eben Südfrankreich verbracht haben. Und natürlich lief englisches Fernsehen, das heute nur ein Thema kannte: Brexit… Naja, nicht nur. Gibt ja auch noch die EM. Als Madame ihrer Freude darüber Ausdruck verlieh, daß das United Kingdom mit England, Wales und Northern Ireland noch im Rennen ist und immer was von Southern Ireland brummelte, habe ich mir dann meinen Teil gedacht. Und als er über das EU-Bürokratiemonster herzog, mußte ich mit der Frage kontern, ob denn die Downig Street so viel leaner wäre, worauf er etwas kleinlauter wurde. Dann war ich mit Frühstück auch durch und wollte los. Nach einer, trotz aller weltanschaulichen Differenzen, herzlichen Verabschiedung war ich endlich wieder auf meinem Weg.

Der zweite Tag mit mediterranem Tagesablauf. Vormittags muß die Welt geretten werden, weil dann Siesta ist und ab sechse geht wieder alles, außer arbeiten. Das bedeutet für mich, früh los und dann bis zur größten Mittagshitze das meiste geschafft haben. So der Plan. Ich war auch um kurz nach acht auf der Straße (Zugegebenermaßen ist das nicht wirklich früh. Beste Grüße an die Leute von der Frühschicht.). Aber weil ich ja erreichbar bin, war ich auch mal wieder kurz im Dienste meines Arbeitgebers unterwegs, was mich zeitlich ein wenig zurückgeworfen hat. Ich kann im Gehen keine Emails schreiben. Nach so einer Einheit dauert das immer ein wenig, bis man wieder Abstand gewinnt und sich auf Weg und Landschaft konzentriert. Aber dann war es echterdings herrlich. Wogende Weizenfelder, abwechselnd mit irgendwas Grünem, Dörfer, Weiler, Bastiden auf den Höhen, kleine Wäldchen und ich auf kleinen Pfaden dadurch.

Und da ich die Lehren meines tunesischen Arbeitskollegen Sahli, wie man denn mit Hitze umzugehen hat, auch nach 25 Jahren noch intus habe, war das Hitzethema eben keins. Der hat mich nämlich in einer Mittagspause, auf mein blödes Gewäsch über Karl May und seine fünf Wüstenbände hin, mal drüber aufgeklärt, wie es sich verhält. Es ist richtig auch bei großer Hitze ein Unterhemd am Körper zu tragen, das die Hitze aufnimmt, darüber ein luftiges Karohemd (ok. Das ist gelogen, aber ich übersetze mal die luftig geschlungene Montur des Tuaregs oder des Beni Arab in meinem Sinne) zu hängen und das was geht, vor der Sonne zu schützen, also lange Arme unten! Das dunkelblaue der Tuaregs war übrigens auch Anlaß für meine schwarze Hose. Die Begründung von Sahli war die, das – er hat das anders formuliert, gehört aber nicht hierhin – unter den Klamotten ein Binnenklima entsteht, daß den Schweiß eben nicht ablaufen läßt, sondern die Haut feucht hält, was den Flüssigkeitsverlust aufhält und kühlt. Wenn ich das so durchlese, muß das für die Kosmetikindustrie und den Hygienewahn einer Kampfansage gleichkommen, aber wer die beiden österreichischen Hipster eben gesehen hat, weiß, das ich bzw. Sahli Recht habe. Ok, die hatten sich verlaufen und kamen eben erst an.

Ich war aber auch nicht durchgängig vernünftig, sondern hab das gemacht, was mir beim Motorradreisen schon immer passiert ist. Ach, noch 100km, die gehen doch auch noch, das Stündchen. Weiter. Immer Weiter. Nun sind das zu Fuß keine 100km/h, sondern nur noch fünf, aber der Mechanismus ist derselbe. Und so war ich um halb drei, beste Siestazeit und größte Mittagshitze, in Lectoure. Hooray. Was tun? Es ist nämlich so, daß auch die Vermieter von Gästezimmern um die Zeit eher um sind, also auf der Couch liegen. Also setz ich mich in die Sportsbar und guck das Mittagsspiel, Spanien gegen irgendwen. Dann gehe ich zum Tourist Office, die mir auch nicht weiterhelfen kann, weil sie nur Französisch spricht, also der Muttersprache mächtig ist und mir eine Broschüre anbietet, die ich selber habe. In der Broschüre guck ich mir was aus und gehe los. Als ich die Rue Nationale runter laufe, komme ich aber vorher bei einem Schild vorbei, daß auch Chambres feilbietet. Und wie sagt der Logistiker, first in first out. Also geklingelt. Die Tür öffnet sich und ich stehe auf einer Baustelle. Ann-Kathrin, so ihr Vorname, entschuldigt sich und sagt, daß sie noch am Um- und Anbauen sind, aber das ich ein Zimmer haben kann. Ok. Da bin ich ja mal gespannt und nachdem das aufgeregte Pärchen – zu der wirklich netten Ann-Kathrin gehört ein Mann – das Zimmer hergerichtet hat, guck ich mir die vermeintliche 30Euro-Butze an und bin hin und weg. Unten (jaaa) Bett, Kitchenette und Bad, oben Wohnen, Fernsehen. Ich sag auch, wie schön ich das finde und da freut sich jemand, weil sie das Haus erst geerbt haben, wieder hergezogen sind und jetzt gucken, wie sie renovieren, vermieten, online in ihren alten Jobs arbeiten, auch weiter arbeiten wollen und Geld mit allem verdienen müssen. Das alles ist auch deshalb so angenehm, weil in einem alten Haus ein Stil umgesetzt wird, der im besten Sinne globalisiert ist. Wir sprechen a kind of English, die Böden sind laminiert, die Wände weiß. Es gibt einige Schwarz-Weiß-Bilder, die nur zu Frankreich passen -in München, Würzburg, Siegen wären da halt andere Bilder- und Blumen in den Fenstern. Völlig ok. Find ich.

Und es gibt natürlich auch ein funktionierendes schnelles wifi. Alles gut. Relaxen bis Sechs und dann endlich Hunger kriegen. Also los. Und ich lande in einem Restaurant, daß als Anhängsel eines Bioladens daher kommt, aber wo es eher umgekehrt ist. Egal. Rein in den Laden. Ja ich will drinnen sitzen, weils da nicht so warm ist. Und bestellt. An dieser Stelle nun keine weitere Ausführung zum Thema „Was hat er denn nu gegessen?“, sondern nur den Tip. Kocht Kartoffeln, schneidet die klein. Kocht Karotten, Zwiebeln, Erbsen, Mais und schneidet das auch klein (oder kauft dieses Leipziger Allerlei von Iglo. Das ist schon kleingeschnitten, da müsst ihr aber beim Würzen aufpassen) Dann mengt ihr das untereinander. Und dann macht ihr euch ans Dressing: nehmt Lachs oder Forellenfilet, überlegt was zum Frühstück gebraucht wird, legt das beiseite, und pürriert den Rest zusammen mit Pfeffer, Salz, Petersilie und Kräutern eurer Wahl und einem oder zwei Schuß Sahne. Mischt das unter die Kartoffel-Gemüsemischung und freut euch an den Gesichtern eurer Gäste, die den Fisch schmecken, aber haptisch nur Gemüse erfahren. Das war auf jeden Fall für mich eine schöne Erfahrung und das mach ich zuhause auch mal.

Nicht alles an dieser Bio-Experience war jetzt doll. Der Wein war schlimm naturell. So sitz ich jetzt noch auf ein Glas in einem Lokal, das eine Terasse mit einem fantastischen Blick übers Land hat. Aber eine langweilige Karte. Und schreib ich vor mich hin und werde gleich mal schauen, was das Netz zu den Protesten gegen das Loi de travail und den Brexit sagt. Hier kriegste nämlich nichts mit. Also im Fernsehen schon, wenn auch wenig, aber das hier die gymnasiale Jugend und die piscineprestige-Mitarbeiter durch die Straßen gezogen wären. Nein. Hier herrscht Ruhe und Beschaulichkeit, obwohl die strukturellen Probleme offensichtlich sind. Auch darüber wäre mal nachzudenken.