60. Etappe: Conques – Livinhac-le-Haut

Wenn es brennt an der Ruhr… Das war heute das Motto des Tages, weil ich nach all der Gegend mal wieder in ein Städtchen, geprägt durch die Montanindustrie kommen sollte. Und da ich ja nun schon ein wenig älter bin und hier und da was mit Struktur- und Industriepolitik zu tun habe, erinnere ich mich gerne an die Konferenz der Jusos, die sich um den Wandel im Ruhrgebiet Ende der 80er Jahre drehte. Lang, lang ist das her. Aber der industrielle Wandel wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen und wir sind gut beraten, die Erfahrungen vergangener Zeiten aufzunehmen. Denn wir sind nicht die ersten, denen die Rohstoffe ausgehen. Schon im Mittelalter kamen Gruben zum Erliegen, weil sich Vorräte erschöpft hatten und da sich Hinz und Kunz drauf verlassen hat, daß es schon so weiter geht, kam es zur Katastrophe. Technologischer Fortschritt hat dann immer einen Weg aus der Katastrophe gezeigt, war aber immer mit schmerzhaften Veränderungen verbunden. Die Wunden sieht man teilweise heute noch.

Das alles ist mir gestern abend noch durch den Kopf gegangen und auch heute wolte ich mit dem Steigerlied losgehen, als mir nach dem Überqueren einer antiken Brücke das Lied im Hals stecken blieb. Vor mir lag ein quasi-alpiner Aufstieg über regennassen Fels, und das fast vom Start weg. Da musst du dich auf jeden Schritt konzentrieren, vor allem weil du ja nicht alleine unterwegs bist und Überholen auf schmalem Pfad schlicht nicht geht. Aber als ich dann oben war, und es ausnahmsweise über eine Hochebene mit interessanten Fernblicken (Ich hoffe ich langweile niemanden, aber dieses Zentralmassiv ist nun mal so) ging, waren sie wieder da, Gedanken und Liedgut zum Strukturwandel. Damit war erst Schluß, als ich nach zwei Stunden die Gelegenheit hatte meine tägliche Dosis Koffein zu mir zu nehmen, empfangen aus den Händen einer jungen Frau, die ganz stark an Mavie Hörbiger erinnerte und vor den Augen eines Dominikanermönchs, der den Weg in Ledersandalen ohne Socken machte. Der Zustand seiner Füße lenkte kurz von der attraktiven Erscheinung auf der anderen Seite der Theke ab, weil ich sowas Verwittertes auch bei Leuten, die seit vielen Jahren Docs tragen, noch nie gesehen. Chapeau!

Schnell weiter und Kurs auf Decazeville genommen. Der Wanderweg streift die Stadt eigentlich nur am Rande, aber ich will mir das angucken. Dort wurde seit dem 16. Jahrhundert Kohle im Tagebau gefördert und im Zuge der Industrialisierung siedelte sich dort Stahlindustrie an, womit dann irgendwann genauso Schluß war, wie mit der Kohleförderung. Da ist die letzte Mette 2001 gelesen worden. Kennen wir NRWler und Saarlänner doch. Glück auf.
Also runter vom Weg und rein in die Stadt. Und auf den ersten Blick weißte was geht. Leicht überschwengliche Pseudomoderne aus den 70ern. Viel Leerstand. Viel Platz fürs Auto und ein Einkaufszentrum 500 Meter vom alten Zentrum. Die Menschen, erfrischend anders als die Bildungsbürger aller Länder, die mich auf dem Weg begleiten. Man sieht Männer mit Bierbäuchen und nicht therapierten Hüftschäden, Frauen mit Kurzhaarschnitten und Leggins und Jugendliche, die sich eine nicht vorhandene Karrieechance schon früh mit Tattoos im Gesicht versemmelt haben. Aber sIe alle brauchen keinen Jakobsweg oder sonst irgendeine Sinnsuche. Sie leben. Rauchen. Machen das Beste aus dem was da ist und scheinen nicht unglücklicher zu sein, als irgendwelche pilgernden Mittelschichtler. Und so sehr mich genau auch dieser Schlag Menschen schonmal nervt, weiß ich doch, daß Ich von da komme und das nie vergessen werde, auch wenn ich Abitur habe, Bildungsbürger bin und Servietten bei Tisch mittlerweile wichtig finde. Der Franz Josef Degenhardt hat mal darüber geschrieben, daß die Bildungsgewinnler der 70er Jahre, also die Arbeiterkinder, die damals zu Abitur und Studium gekommen sind, eine Klasse verloren und in keiner neu angekommen wären. Das ist mir heute wieder in den Sinn gekommen und es erklärt mir auch mein Genervtsein mit den mitwandernden Anderen. Glaub ich. Muß ich mich bei beobachten.

Eine Grundkompetenz ist mir allerdings nicht abhanden gekommen. Es gibt in jeder durch Strukturwandel gebeutelten Stadt einen Kollegen aus der Türkei oder Griechenland, die als Imbiss und Stadtkantine immer die Nummer 1 geblieben sind. Also gehe ich in einen Telefonladen, die gibt es in solchen Städten auch sackweise, kaufe mir eine neue SD-Karte, weil ich doch mehr Bilder mache, als gedacht und frage genau nach dem Number One Kebab. Es gibt nur eine Antwort und ich gehe los, weil in Frankreich auch die Dönerbude bis 14.00h auf hat und dann wieder ab 19:00h. Pommesbuden, die tojour aufhaben, sucht man hier zumeist vergebens. Eine gute Empfehlung. Eine lecker Kebab-Platte mit Reis statt Pommes und viel Salat. So gesund hab ich schon lange nicht mehr gegessen. Als die Bedienung hinter der Theke mir dann auch das Bier zur Platte schenkt, weils von Deutschland nach Compostelle doch schon ganz schön weit ist, weiß ich das ich richtig bin.

Aber ich kann ja schlecht dableiben und gehe zurück auf den Weg, der wieder an den Lot führt, der sich durch die Regenfälle der letzten Tage rostrot gefärbt hat. Den Fluß erreicht man allerdings erst nach einem glitschigen und kraftzehrenden Abstieg, so daß ich gar nicht mehr erst in den Zielort einlaufe, sondern sofort Richtung Camping gehe. Mobil Home wäre angesichts des Wetters mal wieder das geeignete Dach überm Kopf. Klappt auch, allerdings muß da noch sauber gemacht werden und ich soll doch bitte in der Bar warten. Ok. Feierabendbierchen und umgucken. EM-Sonderaktion: Pizza und n halber Liter Wein fürn Zehner. Ich geh hier heute nicht mehr weg. Beim Warten kommt eine zweite Wanderin und fragt nach einem Mobil Home. Auch sie soll warten und wir kommen ins Gespräch, was ganz nett verläuft. Dann meldet der Kollege Klar Schiff und vermeldet ein Problem. Bei einem Mobile ist das Wasser kaputt und man muß in die Sammeldusche. Naja, ich war zwar Erster, aber ich bin auch altmodisch, überlasse also der Dame das Mobile mit Dusche und klopfe mir auf die Schulter. Nach Bezug meiner Butze, gehe ich duschen und rasier mich nach ein paar Tagen mal wieder, was auch n schönes Gefühl ist.

Dann ist es Zeit für Pizza, Wein und EM, weil in der Campingbar nämlich Beamer und Leinwand aufgestellt sind. Die Kollegin Wandersfrau ist schon da und mit ihrer Pizza fast durch, als ich meine bestelle. Wir unterhalten uns ein wenig, aber als dann um 21.00h Anstoß ist, wird sie ganz schnell müde und so bleibe ich da mit dem pastistrinkenden Camping-Jefe hocken und fabulier mit ihm über das Spiel. Das langt für die erste Halbzeit. Danach verstehe ich außer Mueller kein Wort mehr, bezahle und gehe. Nun hock ich in melnem Mobile Home und hör dem Regen zu…