21. Etappe: Couvent St. Marc – Gueswiller

Nach einer bemerkenswert ruhigen Nacht – Kein Piepsen, kein Vibrieren, keine Schlaflosigkeit mit ein bißchen fb bekämpfen – wurde ich morgens wach. Erholt. Es war also einfach nur ruhig, was ja zum Schlafen geradezu einlädt. Das hab ich dann auch anscheinend gründlich getan und bin nach ein wenig Vorpacken zum Frühstücken gegangen. Selbstgebackenes Brot und Portionspackungen mit Butter und Marmelade, dazu aber ein guter Kaffee. Das wars. Es heißt ja auch petit dejeuner und nicht Brotzeit. Allerdings denke ich, die Bräute Jesu sollten beim Thema Nachhaltigkeit und Plastikmüll mal noch genauer bei ihrem obersten Dienstherr, Papst Franziskus, nachlesen, was er zur Ressourcenverschwendung geschrieben hat. So hängt sein Portrait nur im Speisesaal. Unabhängig davon war es mir beim Abschied ein wenig schwer, weil ich diese Auszeit in der Auszeit sehr genossen habe. Donnerstag abend checke ich aber in Bellemagny schon wieder in ein Kloster ein, diesmal bei Benediktinnerinnen. Mal schauen wie das wird.

Also los. Berg rauf. Mit dieser Etappe nähere ich mich nun immer mehr der burgundischen Pforte, diesem etwa 30 Kilometer breiten Korridor, der ohne Hinderlichkeiten, wie etwa Höhenmeter, den Übergang aus dem Teil Europas, dessen Flüsse ins Mittelmeer oder in den Atlantik münden und dem Teil, dessen Flüsse Richtung Nordsee oder schwarzem Meer fließen. Und je höher ich komme, desto deutlicher sehe ich konkret, was das heißt. Von Colmar im Norden und Freiburg auf der anderen Rheinseite etwa auf gleicher Höhe, bis hinein in die Schweiz, wahrscheinlich so bis Basel, ist durch diese Rheinebene, Oberrheinebene um genauer zu sein, aber auch schon jeder gezogen, der mindestens die Weltherrschaft erringen oder aber auch nur Handel treiben wollte. Und alle haben was liegenlassen. Für den kulturbeflißenen Bildungsbürger ist die Gegend also ein lohnendes Ziel. Für die anderen hat es mit dem FC Freiburg, Racing Straßbourg (derzeit aber in den Tiefen des französischen Amateurfußball verschwunden) und dem FC Basel aber auch genug Anlaufpunkte für eine englische Woche. Naja, und für wandernde Fußballfans mit Geschichte-LK  ist sie das sowieso, obwohl es mit einem Spielbesuch nicht geklappt hat. ☺

Weiter gehts durch den Wald, hoch über dem Tal am Hang entlang und dann gehts rechts ab steil bergauf. Urplötzlich ist Schluß mit Wald und ich steh auf einer Hochebene mit einer sensationellen Rundumsicht, wenn das Wetter diese sensationelle Rundumsicht hergibt. Das war heute, ob des wiedereinsetzenden Regens, nur eingeschränkt möglich, aber ein regenverhangener Blick von der Rheinebene über die Weinberge an den Hängen bis hin zu den schneebedeckten Gipfeln der Grand Ballons des Vosges hat schon auch seinen Reiz. Und das sag ich nicht nur so. Immerhin bin ich jetzt seit drei Wochen unterwegs, eben auch genau wegen dieser Momente, bei denen ich der Geschichte, unserer Geschichte und den Landschaften, die uns prägen, hinterherspüren kann. Und dort oben am Zinnkoepfle, das der Grand Cru Lage am Hang unterhalb seinen Namen gegeben hat, mitten im Regen war dieses Gefühl recht überwältigend, weils eben so langsam rausgeht aus meinem engeren Kulturkreis.

Dann gehts runter ins Tal und ich hab Hunger. Das ist sicherlich verständlich, weil nach einem petit dejeuner irgendwann ja auch mal das dejeuner folgen muß. Im Ort, Soultzmatt, gings an einem Metzger fast vorbei. Nach kurzem Einkehrschwung hielt ich aber eine ofenwarme Pastete, gefüllt mit Chourcroute und einer Art Spießbraten, in Händen. Ein würdiges Dejeuner, leider im Stehen unter dem Vordach der Kirche eingenommen, weil die in jedem deutschen Kaff zu findende Bushaltestelle mit Bank, die in der Regel auch überdacht ist, in Frankreich echten Seltenheitwert genießt. Egal, echter Genuß braucht keine weißen Tischdecken! Und weiter. Wieder bergauf und bergab, bis ich dann durch Weinberge nach Gueswiller absteige. Die Stadt macht schon von oben einen morbiden Eindruck. Industrieanlagen, die ihren besten Tage schon gesehen zu haben scheinen und hier und da verfallender siebziger Jahre Chic. Das bestätigt sich auch beim Aufsuchen der Unterkunft.

Adresse richtig eingegeben? Ja. Mails gecheckt? Ja. Ich stehe vor einem Haus, daß aussieht als wenn der RTL-Schuldenberater gerade erst eingeschaltet worden wär. Aber weil ich ja heute nacht irgendwo pennen muß, klingel ich erstmal. Die Tür geht auf und ich denk: „Ach du Scheiße.“ Nicht so sehr wegen des Empfangs, sondern eher wegen dem Blick in ein messiemäßig zugemülltes Treppenhaus. Vor mir steht – yeah – jemand, der sich sehr überrascht zeigt, weil nix vorbereitet ist. Mein Einsteig in den Ausstieg aus dieser Buchung. Ich sag also freundlich, daß das No Problem sei und sie sich keine Mühe machen muß. Ab durch die Mitte. Es gibt Dinge, die ich mir nicht geben muß. Also mal geguckt, was eine gerne genannt werden wollende, aber nicht genannt werdende Plattform zu bieten hat. Und auf den Schock, darfs auch a bisserl mehr sein, wie Martina Schwarzmann sagen würde. Das klappt und ich bin formidable unter, was aber auch bedeutet, daß es heute abend nichts Mehrgängiges im Restaurant gibt. Das ist auch kein Problem, weil das Zimmer echt schön gemütlich eingerichtet ist. Also rein in die Stadt, ein wenig Obst, Nüsse und ne Flasche Wein (Pinot Blanc vom Demeter-Weingut Leon Boesch) gekauft, vorher n Döner unter einem  Martin Luther King Plakat gegessen, was ich auch noch nie getan habe, und ab nach Hause. Ja, und hier sitz ich nun und freu mich des Lebens. Ein guter Tag.